Autofrei

Autofrei

Auf der Demo zur Autofreien Landstraßer Hauptstraße am 22. September 2020 durfte ich ans Mikro. Das war mein Manuskript.

„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme.“

Das ist der Vertrauensgrundsatz §3 der STVo, der besagt, ich darf allen anderen vertrauen, „außer er müsste annehmen, dass es sich um Personen handelt, aus deren augenfälligem Gehabe geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten.“

Ich erlaube mir, die Gefahren des Straßenverkehrs umfassender zu verstehen und beziehe die Umwelt und das Klima mit ein. Und da fällt es mir dann schon schwer, Vertrauen zu AutofahrerInnen in SUVs aufzubauen.

Der Verkehr verursacht in Österreich 30 Prozent der klimaschädlichen Emissionen.
Bei 9 Mrd Ausgaben für CO2-Zertifikate, die Österreich in den nächsten 10 Jahren ausgeben wird müssen, wenn wir so weitermachen, bedeutet das, dass die Landstraßer AutofahrerInnen jährlich für 1,5 Mio. verantwortlich sind.

Wenn wir aber NICHT so weitermachen, sondern die Mobilitätswende schaffen, bedeutet es:

  • die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum wird erhöht
  • die Luftqualität wird verbessert
  • der Verkehrslärm wird reduziert
  • der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und des Radverkehrs schafft Arbeitsplätze
  • die Mobilitätskosten privater Haushalte werden verringert
  • der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs bringt gesicherten Zugang zu Mobilität für alle
  • bewegungsaktiver Mobilität bedeutet gesünderen Leben und spart enorme Kosten im Gesundheitssektor
  • sanfte Mobilität schafft höhere Verkehrssicherheit
  • weniger Verbrauch von Erdöl erhöht die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit Österreichs

Das klingt doch sehr vernünftig.
Weitaus vernünftiger, als eine Fortbewegungsart, die einen in Erklärungsnotstand gegenüber einem Kind oder Alien bringt: warum man sich mit begrenzten Ressourcen fortbewegt und dabei sich selbst, andere Menschen und die Natur in Gefahr bringt und Schaden zufügt.

Aber Menschen handeln oft nicht rational, sondern emotional.

Es ist „mein Auto“ – mein Wohnzimmer auf 4 Rädern
Es riecht nach mir, ich höre meine Musik.
Ich fühle mich sicher.
Sicher vor anderen Menschen – die kommen mir nicht so nahe wie in der U-Bahn.
Sicher vor anderen Blicken – Stichwort nasenbohrende AutofahrerInnen
Ich muss nicht mit ihnen reden – kommuniziert wird mit der Hupe.
Ich fühle mich in einem hohen, dicken Auto vorallem auch geschützt vor anderen Autos.

Für sie zählt Freiheit und Unabhängigkeit.
Es ist meine persönliche Entscheidung, wie ich mich fortbewege!

Da bin dann schon erstaunt über unsere Gesellschaft, wenn es ein öffentlich diskutiertes Thema sein kann, wer wen in seinem Schlafzimmer liebt, aber wenn es um ein Fortbewegungsmittel geht, das in aller Öffentlichkeit lärmt, stinkt, Ressourcen verschwendet und unsere Umwelt schädigt, dann ist es zu intim?

Freiheit ist mir auch wichtig.
Deswegen habe ich ja kein Auto. Zu mühsam und zu teuer.
Und da gibt es auch die Anspruch, dass individuelle Freiheit dort enden muss, wo sie Freiheit anderer einschränkt.
Genauso wie der Grundsatz für Entscheidungen, dass man sich fragt, wie es wäre, wenn das alle tun?

Das Autofahren hat Privilegien aus vergangenen Zeiten.
Die Mobilitätswende bedeutet auch Verzicht und Privilegienabbau.
Das schmerzt.

Wenn sich AutofahrerInnen von ihren Gewohnheiten, Bequemlichkeiten und Privilegien trennen, dann ist das ein Trauerprozess. Autofahren ist ja was Emotionales.

Sie werden die 5 Stufen der Trauer durchmachen:

Stufe 1: Leugnen.
Nicht wahrhaben wollen.

Stufe 2: Wut.
Das Wissen um Verlust löst starke Gefühle aus, kein rationales Denken ist möglich, andere werden verantwortlich gemacht.

Stufe 3: Verhandeln.
Was muss ich tun, dass es wieder wie früher ist? Elektroauto fahren? Die stehen genauso im öffentlichen Raum herum und verändern das Mobilitätsverhalten nicht.

Stufe 4: Depression.
Ein Gefühl der Leere, wie soll ich bloß ohne Auto leben?

Stufe 5: Akzeptanz.
Man schließt Frieden mit der neuen Situation.

Es heißt, der Trauerprozess ist schlimmer, wenn es einen unvorbereitet trifft – nunja, dann wird es vielleicht doch nicht so schlimm. Immerhin wissen wir von den negativen Folgen des fossilen Autoverkehrs seit … den 1970er Jahren?

Die Illustration von Karl Jilg zeigt die Situation für FußgängerInnen.
Auftraggeberin war 2014 die schwedische Straßenverwaltung.
Das letzte Foto meines letzten Autos, 2001.
Simca und ich, 1974
Simca und ich, 1974
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