„Zu viel Ehre“ für Marie Jahoda
Bürgermeister Ludwig meinte das.
Am 15. Oktober 2021 fand die offizielle Namensgebung des Gemeindebaus an der Kreuzung Seidlgasse/Kegelgasse nach der prominenten österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda statt. Wir Landstraßer Grünen freuen uns sehr über den neuen Marie Jahoda-Hof, mussten wir doch sehr lange darauf warten.
Am 18. April 2013 hatte ich ursprünglich den Antrag auf Benennung eines Gemeindebaus an der Seidlgasse nach Marie Jahoda gestellt. Sie war ja im Haus Nummer 22 in einer sozial-liberalen Familie, die sie prägte, aufgewachsen. Wir wollten der bedeutenden Landstraßerin hier ein Denkmal setzen. Nach Beratung in der Kulturkommission wurde der Gemeindebau Seidlgasse/Kegelgasse gewählt, und die Bezirksvertretung stimmte dem Antrag zu.
Wer war Marie Jahoda?
Die österreichische Sozialwissenschafterin war führend an der bahnbrechenden Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ beteiligt. Diese hat bis heute ihre Aktualität nicht verloren. Denn das Ergebnis – Resignation Aktivitätsunfähigkeit, Überforderung durch erzwungenes Nichtstun, Entpolitisierung bei einem großen Teil der Langzeitarbeitslosen – ist nach wie vor ein großes soziales Problem.
Zudem war Marie Jahoda eine Widerstandskämpferin gegen Faschismus. Während des Austrofaschismus war sie für die verbotenen Revolutionären Sozialisten tätig. Infolge dessen wurde sie 1936 verhaftet. 1937 wurde sie entlassen, musste innerhalb von 24 Stunden Österreich verlassen und verlor die österreichische Staatsbürgerschaft.
Marie Jahoda ging nach London. Dort war ihr eine Stelle angeboten worden. Bis zum Kriegsende blieb sie in Großbritannien und war dort als Wissenschafterin, unter anderem auch für die britische Regierung tätig. 1945 ging Marie Jahoda in die USA und arbeitete unter anderem an der Columbia University und der New York University. 1958 ließ sie sich endgültig in Großbritannien nieder, wo sie 1965 die University of Sussex mitbegründete, an der sie bis zu ihrer Emeritierung lehrte.
Warum also die lange Wartezeit?
Vom beschlossenen Antrag bis zur offiziellen Namensgebung vergingen mehr als acht Jahre. Denn 2013 fand es der zuständige Stadtrat für Wohnbau, der heutige Bürgermeister Michael Ludwig, nicht für nötig, einen Gemeindebau praktisch neben der ursprünglichen Wohnadresse von Marie Jahoda nach ihr zu benennen. Er wies darauf hin, dass bereits ein winziges Gässchen in Hernals und eine bilinguale Schule in Ottakring nach ihr benannt seien.
Bei Männern ist die SPÖ da aber nicht so streng. So sind etwa nach Karl Popper eine Volksschule im 15. Bezirk und eine Eliteschule für hochbegabte Schüler:innen am Wiedner Gürtel sowie eine Straße unmittelbar beim Hauptbahnhof benannt. Zudem befindet sich an seinem ehemaligen Wohnhaus in Hietzing und an der Bibliothek der Tischlerinnung in Margareten, wo er 1924 die Tischlergesellenprüfung ablegte, je eine Gedenktafel für ihn.
Langer Atem bringt Erfolg
Ich ließ nicht locker und stellte am 12. Dezember 2019 wieder einen Antrag auf Benennung des Gemeindebaus Seidlgasse/Kegelgasse nach Marie Jahoda, diesmal an Kathrin Gaál, derzeitige Frauen- und Wohnbaustadträtin. Diese konnte in ihrer aktuellen Funktion wohl kaum ablehnen, allerdings erst nachdem der Antrag bis September 2020 unbearbeitet in der Kulturkommission liegen geblieben war und gerade noch rechtzeitig, von der Bezirksvertretung beschlossen werden konnte. Trotzdem dauerte es noch ein gutes Jahr bis zur offiziellen Namensgebung, zu der die Initiator:innen dieser Benennung natürlich nicht eingeladen wurden. Nun schmücken sich auf der am Wohnhaus angebrachten Tafel sowohl Michael Ludwig als auch Kathrin Gaál mit der Idee.
In der Presseaussendung dazu schrieb Kathrin Gaál nun: „Ihre Biografie als bahnbrechende Sozialpsychologin, Widerstandskämpferin und Wissenschafterin kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Na eben!